Praktiken wie Doping oder Neuro-Enhancement hatten bisher in der breiten Öffentlichkeit ein sehr negatives Image. Gegenwärtig ist jedoch in allen Gesellschaftsschichten ein massiver Wertewandel im Umgang mit leistungssteigernden Medikamenten zu beobachten.

Der Radsport wird oft als Vorreiter des Dopingtrends genannt. Zahnlose Kontrollen, lasche Verfolgung der Täter und Vertuschung der Vorfälle tragen ihren Teil dazu bei. Auch die öffentliche Meinung scheint sich zu verändern. Dopingskandale sind in den Medien oft nur noch Fußnoten, wo sie früher die Titelseiten füllten. „Wie soll man denn an der Spitze mithalten, wenn man nicht dopt“, ist ein oft gehörtes Argument. Vom Doping der Muskeln und der Ausdauer ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zum Doping des Gehirns.

Bedeutung von Neuro-Enhancement

Die Bereitschaft, sich im Alltag und Beruf mit medizinischer Hilfe zu „optimieren“, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Fachleute sprechen von „Neuro-Enhancement“. In der Umgangssprache hat sich der Begriff „Hirndoping“ durchgesetzt.

Konzentration

Wie im Sport steigt auch hier der Konkurrenz- und Leistungsdruck. Mit bestimmten Medikamenten lässt er sich scheinbar besser bewältigen. Je mehr Menschen sich auf diese Weise fit machen, desto größer wird der Druck auf diejenigen, die es (noch) nicht tun. Im schlimmsten Fall drohen den Abstinenten Arbeitsplatzverlust und sozialer Abstieg.

Neuro-Enhancement bei Minderjährigen

Auch Kinder und Jugendliche gehören zu den Betroffenen. Der Trend, auffälliges Verhalten als krankhaft zu bewerten und in der Folge medikamentös zu behandeln, ist angesichts steigender Verordnungszahlen entsprechender Psychopharmaka längst unübersehbar. Das Risiko eines Kindes, an ADHS zu erkranken, wurde in einer 2014 veröffentlichten Studie auf 7% geschätzt; wie viele betroffene Kinder Opfer einer Fehl- oder Bequemlichkeitsdiagnose werden, ist nicht bekannt.

Nicht jede Form von Unaufmerksamkeit, Impulsivität oder mangelnder Selbstkontrolle erfordert eine medikamentöse Therapie. Doch wenn Ärzte nicht mehr weiterwissen, greifen sie manchmal aus Verlegenheit zum Rezeptblock. Die im Frühjahr 2018 in Kraft getretene Leitlinie zur Behandlung von ADHS, die eine frühzeitige Verschreibung von Ritalin auch in leichteren Fällen empfiehlt (siehe hier), dürfte diesen Trend noch verstärken. In den meisten Fällen wird der Wirkstoff Methylphenidat eingesetzt. Dieser ist unter den Markennamen Ritalin, Concerta, Medikinet u.a. in Apotheken erhältlich.

Langfristiger Ausblick

Es gibt also eine Krankheit, die man offenbar mit einem bestimmten Medikament behandeln kann. Kaum merklich, aber dennoch unaufhaltsam, dreht sich die Frage in eine andere Richtung: Wenn man mit Ritalin ADHS bei Kindern in den Griff bekommt, kann man es dann vielleicht auch als gesunder Erwachsener einsetzen, um seine Leistungsfähigkeit im Alltag zu optimieren? Angesichts der bewussten oder latenten Angst vor Versagen, Arbeitsplatzverlust und Arbeitslosigkeit verblassen sowohl die Warnungen vor den Nebenwirkungen als auch die Gefahren der oft irreversiblen Langzeitwirkungen.

Es ist unklar, ob sich der Trend zum Neuro-Enhancement verfestigen oder im Laufe der Zeit wieder abflachen wird. Insgesamt deutet die Entwicklung eher auf eine Zunahme hin. Dabei wäre die beste Medizin für eine hohe geistige Leistungsfähigkeit viel einfacher zu haben, ganz ohne Rezept und ohne Nebenwirkungen: Man müsste sich nur gesund ernähren, viel bewegen und viel schlafen und müsste dazu weder Ritalin kaufen noch irgendein anderes Medikament.

Siehe auch

• Neuronale Selbstoptimierung zwischen Meditation und Ritalin
• Ungleich besser? Zwölf Thesen zur Diskussion über Neuro Enhancement

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